„Wir fordern einfach das, was auch alle vor uns hatten: ein Recht auf eine lebenswerte Zukunft.“

Zum weltweiten Klimastreik am 25. September 2020 veröffentlicht die Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien ein Interview mit Emilia und Laurenz von Fridays for Future.

Die KJA solidarisiert sich mit den Forderungen von Kindern und Jugendlichen nach einer lebenswerten Zukunft und Klimagerechtigkeit. Wir unterstützen diese Forderungen aktiv und setzen uns auch weiterhin für ein Kinderrecht auf intakte Umwelt und soziale und klimafreundliche Unterstützungsmaßnahmen und Konjunkturpakete in der Coronakrise ein. 

 

Zuerst einmal: Könntet ihr die Forderungen von Fridays for Future zusammenfassen?

Laurenz: Als Fridays for Future haben wir ein großes Ziel, das über allem steht: das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten unter Berücksichtigung von globaler Klimagerechtigkeit. Die sechs Forderungen sind Dinge, die wir in Österreich auf jeden Fall brauchen, um zu diesem Ziel zu kommen.

Emilia: Die Forderungen sind (1) die Umsetzung der Maßnahmen des Klima- und ökologischen Notstands, (2) die sofortige Verankerung von Klimaschutz in der Verfassung sowie den Ausstieg aus Öl, Kohle und Gas bis 2030, (3) eine sofort beginnende, mindestens lineare Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2025 auf 50% gegenüber 2005 und bis 2030 auf netto Null, (4) eine ökosoziale Steuerreform ab dem Jahr 2020, (5) dass Maßnahmen gesetzt werden, um Biodiversität zu fördern und bei neu erlassenen Maßnahmen der Schutz der Biodiversität berücksichtigt wird und (6) den Stopp fossiler Großprojekte, wie der Neu- und Ausbau von Flughäfen und Autobahnen.

L: Da haben wir auch Rückendeckung von den Wissenschaftler*innen, die sich mit dem Thema beschäftigen. Sie haben unter anderem einen Referenzplan als Grundlage für einen wissenschaftlich fundierten und mit den Pariser Klimazielen in Einklang stehenden Nationalen Energie- und Klimaplan für Österreich geschrieben, abgekürzt Ref-NEKP.

E: Auch wenn es eigentlich nicht unsere Aufgabe sein sollte, die Lösungen zu liefern: Wir haben gemerkt, das ist notwendig. Derzeit arbeiten wir auch an einem Maßnahmenkatalog, der noch detailliertere Maßnahmen für diese einzelnen Forderungen enthalten soll.

Das finde ich ein gutes Stichwort. Wie geht es euch damit, dass ihr eine Aufgabe übernehmt, die daraus resultiert, dass die älteren Generationen nicht auf die nächsten Generationen geschaut haben?

L: Da schlägt man sich manchmal mit der Hand an den Kopf und fragt: „Was ist das eigentlich?“. Vor allem, wenn man überlegt, seit wie vielen Jahrzehnten Wissenschaftler*innen vor den Auswirkungen der globalen Erwärmung warnen. Warum muss man die Entscheidungsträger*innen da an ihre Verantwortung erinnern? Ein weiterer Punkt ist, dass viele Leute uns dann fragen: „Das ist doch so schwierig, da gibt’s doch diesen und diesen und diesen Punkt zu beachten – wie kann man das machen?“ Und dann sagen wir: unser Zusatzservice. Unsere Zielsetzung als Fridays for Future ist es, Druck auf Entscheidungsträger*innen auszuüben, die an den großen Hebeln sitzen. Forderungen und Maßnahmenkataloge zu präsentieren und Wissenschaftler*innen mit der Politik zu vernetzen ist ein Zusatzservice. Und auf die Aussage „Das ist doch so kompliziert“ kann man nur antworten: „Ja, wir wissen es und wir wollen, dass wir alle zusammenarbeiten, um eine Lösung zu finden.“

E: Wir arbeiten ganz aktiv die ganze Zeit, versuchen, in Dialog mit der Politik zu stehen, mit der Wissenschaft. Wir müssen zusammenarbeiten, die Politik, die Wirtschaft, die Wissenschaft und die Zivilbevölkerung, alle müssen da an einem Strang ziehen. Das ist nichts, wo man sagen kann: „Damit beschäftigen die sich, das ist deren Thema“ oder: „Das ist für uns nicht relevant“ oder: „Das passt nicht zu unserem Programm“.

L: Von der Klimakrise und ihren Auswirkungen sind Menschenrechte, Kinder- und Jugendrechte massiv bedroht. Das sind wirklich die fundamentalsten Rechte, wie das Recht auf Nahrung, auf sauberes Wasser, auf eine angemessene Unterkunft, auf Leben generell. Es gibt auch diese Klimaklagen. Es ist schon beunruhigend zu sehen, dass sich Kinder mit Anwält*innen vernetzen und einen Staat klagen, damit etwas für ihre Zukunft getan wird.

E: Zur globalen Klimagerechtigkeit: In unseren Forderungen ist es so, dass die Länder, die erstens oft am meisten dafür können und zweitens auch am einfachsten die Möglichkeiten haben, etwas zu ändern, wie z.B. Österreich, am schnellsten etwas ändern müssen – damit den anderen Ländern ein Zeitpuffe­­­r erkauft wird, um klimaneutral zu werden, sodass 2050 die Welt klimaneutral sein kann. Damit wir die Zukunft haben, für die wir da aufstehen.

Und bei Fridays for Future ist es so, dass wir uns ganz stark an die Politik und die Wirtschaft richten und eben nicht an die Einzelpersonen. Weil es uns darum geht, dass die großen Rahmenbedingungen verändert werden müssen. Es ist einfach Irrsinn, dass ein klimaschädliches Leben derzeit sehr viel einfacher, billiger und bequemer ist als ein klimafreundliches Leben. Wir müssen es Leuten attraktiver machen, die klimafreundlichere Wahl zu treffen.

Ich habe das Gefühl, dass das zum Teil den Wandel ausmacht, der jetzt passiert ist. Ich habe in den letzten Jahren öfter erlebt, dass sich Schüler*innen einerseits für Umweltthemen interessieren und andererseits die Bearbeitung des Themas darauf abzielt, dass man auf der individuellen Ebene etwas tut – was aber, im Großen betrachtet, keinen Impact hat. Das heißt: Die Schüler*innen haben zwar ein Interesse, aber diesem Interesse stand bis vor Kurzem kaum ein Gefühl von Handlungsmacht gegenüber. Wie seht ihr das?

E: Ich glaube, dass es auch ganz klar eine Stärke unserer Bewegung ist, dass wir nicht darauf abzielen, jemanden individuell zu beschuldigen. Ich persönlich glaube, dass es auch wichtig ist, dass jeder bei sich selbst schaut. Aber das reicht heutzutage nicht mehr aus. Deshalb müssen jetzt die großen Veränderungen her.

L: Alleine wird niemand die Welt retten.

E: Deswegen finde ich auch diese Fragen so seltsam, die Journalist*innen uns so gerne stellen: „Aber was machst du denn?“ oder: „Aber ihr seid doch sicher auch alle letzten Sommer in den Urlaub geflogen …?“ Diese Argumentation trifft genau nicht den Kern. Was wir fordern ist, dass es nicht sein kann, dass die Verantwortung nur auf die Einzelpersonen abgewälzt wird. Und es ist einfach noch viel zu schwierig, besonders für junge Menschen, die nicht so viel Geld haben, nachhaltige Kaufentscheidungen zu treffen.

L: Ich glaube auch, dass die Komplexität des Themas bei vielen zu Frustration führt. Da muss man den Leuten die Entscheidung auch ein bisschen einfacher machen, indem man das Umweltfreundlichere billiger macht und indem man die Bevölkerung klarer informiert, damit das nicht so ein Ökodschungel ist.

E: Deswegen fordern wir auch Aufklärung und in der Bildung viel Beschäftigung mit dem Thema. Man muss anfangen, die Leute tatsächlich zu informieren und zwar über alle möglichen Kanäle. Denn das ist wirklich die größte Herausforderung, die größte Krise, in der die Menschheit je gesteckt hat und darüber muss man die Bevölkerung auch entsprechend informieren. Sonst macht man es den Menschen schwer, gut zu leben.

Also man merkt schon: Fridays for Future ist sehr breit aufgestellt. Bei euch ist der wissenschaftliche Aspekt wesentlich, ihr seid auch in den politischen Prozessen drin, ihr widmet euch der Kommunikation, dem Sozialen und auch rechtlichen Fragen …

E: Wir versuchen, jedes Instrument, das wir in einer Demokratie haben, zu nutzen. Denn wie gesagt: Es ist das größte Problem, das wir haben. Und wenn man das mal kapiert hat, versucht man, dafür auf jede erdenkliche Art und Weise etwas zu unternehmen.

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften haben dieses Jahr beim UN-Kinderrechtebeirat einen Antrag eingebracht, die Kinderrechtskonvention um ein Recht auf intakte Umwelt zu erweitern. Was sagt ihr dazu?

E: Ich denke, das ist eine gute Sache und das ist schon so ziemlich das, was wir auch fordern. Wir fordern ja einfach ganz grundlegend das, was auch alle vor uns hatten: ein Recht auf eine lebenswerte Zukunft in einer Welt, die wir auch als schön genießen können und die nicht unwirtlich und nicht lebensfeindlich für uns Menschen ist. Da ist eine intakte Umwelt ein zentraler Punkt.

Es gibt ja im Bundesverfassungsgesetz den Artikel 14, Absatz 5a, der sich auf Demokratie, Humanität, Solidarität, Friede, Gerechtigkeit, Offenheit und Toleranz als Grundwerte der Schule bezieht. Wie würdet ihr den vor dem Hintergrund einerseits von Schule und schulischer Bildung und andererseits vor dem Hintergrund der Schulstreiks und Fridays for Future einordnen?

L: Ich denke, wir bei Fridays for Future leben das. In den Schulen wird das theoretisch diskutiert und das geht den Leuten weniger ans Herz.

E: Ich bin generell der Meinung, dass unsere Demonstrationen sehr lehrreich und wirklich eine gute Möglichkeit sind, z.B. Politische Bildung zu leben. Ich finde es ganz wichtig, dass den Schüler*innen beigebracht wird, dass in einer Demokratie der einzelne Mensch auch etwas zu sagen hat, dass die Bevölkerung entscheiden kann. Es ist, glaube ich, tödlich für eine Demokratie, wenn die Menschen nicht selbst das Gefühl haben, ihre Stimme wird gehört.

L: Bei uns gibt es auch immer Input, Redebeiträge, teilweise von Top-Wissenschaftler*innen. Da lernt man auch inhaltlich viel. Und diese Grundwerte werden bei uns eben vorgelebt. Das ist die effektivste Art, sie auch tatsächlich zu verinnerlichen.

E: Ich finde es auch immer ganz wichtig, zu sagen, dass es an sich überhaupt nicht schwer ist, bei uns mitzumachen. Wir sind keine geschlossene Organisation. Du gehst einfach hin, nach einem Streik zum Beispiel oder zu einem von diesen offenen Orga-Treffen und sagst: „Ich will mitmachen“, und dann erklären dir die Leute alles. Die sind alle voll offen und sehen immer gerne neue Leute.

Eine letzte Frage an euch: Der abschließende Satz eurer Forderungen heißt ja: „Falls diesen Forderungen im aktuellen System nicht nachgekommen werden kann, braucht es einen Systemwandel.“ Habt ihr Vorstellungen, wie so ein Systemwandel aussehen könnte?

E: Wir diskutieren auf jeden Fall viel darüber.

L: Also das ist sehr offen formuliert, einfach nur um zu sagen, wir lassen uns in dem System nicht einsperren, wenn es uns keine Zukunft sichern kann.

E: Ich glaube, dass viele der Veränderungen sehr positiv sein können. Man muss einfach sehen, dass das nicht immer etwas Schlechtes ist, sondern einerseits einfach unsere Zukunft sichert, aber andererseits auch in dem Moment schöne Veränderungen bringen kann. Unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft, alles ist menschengemacht, das können wir auch genauso wieder verändern. Das zu kommunizieren, ist wichtig: dass man sich nicht darauf ausreden kann, dass ein Systemwandel unmöglich wäre. Unmöglich ist er nur, weil wir uns als Gesellschaft z.B. selbst Grenzen setzen. Und das muss ja nicht sein.

Vielen Dank für das Interview!

 

Weitere Infos:

Fridays for Future Austria: https://www.fridaysforfuture.at

Klima-Corona-Deal https://v1.fridaysforfuture.at/uploads/Klima-Corona-Deal_19.05.2020.pdf

IPCC-Berichte: https://www.ipcc.ch

Ref-NEKP: https://ccca.ac.at/wissenstransfer/uninetz-sdg-13/referenz-nationaler-klima-und-energieplan-ref-nekp

Scientists for Future: https://www.scientists4future.org/

Climate Change Center Austria: www.ccca.ac.at

 

Dieses Interview entstand im Herbst 2019 und findet sich auch im Jahresbericht der KJA.