CareDay21: Gleiche Chancen für Care Leaver!

Isolde ist 19 Jahre alt und hat ihre Lehrestelle verloren. Sie wurde kürzlich aus der „Vollen Erziehung“ der MA 11 – Kinder- und Jugendhilfe entlassen und ist nun auf sich selbst gestellt. Die bezogene Gemeindewohnung war zwar klein und günstig, aber ohne Einkommen, war es nicht möglich diese zu erhalten. Sie sollte sich nun beim Arbeitsmarktservice für junge Erwachsene (U25) melden, schämt sich aber dort hinzugehen. Außerdem kann sie ihre persönlichen Dokumente nicht mehr finden. Eigentlich braucht Isolde jetzt Unterstützung um ihr Leben in den Griff zu bekommen.

Der 19. Februar 2021 ist als CareDay21 ein globaler Festtag für junge Menschen, die größtenteils nicht bei ihren Familien aufwachsen konnten und mit ihrer Volljährigkeit aus der Fremdbetreuung in die Selbständigkeit entlassen werden.

Vor genau einem Jahr, am 21. Februar 2020, fand die Fachtagung „Care Day 2020 – Be the Change – Gleiche Chancen für Care Leaver“   im Wappensaal des Wiener Rathauses statt. Der Begriff Care Leaver meint junge Menschen, die einen Teil ihres Lebens fremduntergebracht waren. Für diese jungen Menschen, die nicht bei ihren Familien aufwachsen konnten oder über ein stabiles soziales Netz verfügen, sind die Herausforderungen des Erwachsenwerdens bzw. der Verselbständigung ungleich größer und ein Scheitern häufiger als bei anderen jungen Menschen.

Heute weiß die Fachwelt, dass junge Menschen durchschnittlich 25,6 Jahre benötigen, bis sie die elterliche Wohnung verlassen und selbstständig leben können. Und selbst wenn der Lebensplan einmal nicht so läuft wie man sich das vorstellt, würde jeder Elternteil seine Türen öffnen, sein Kind in den Arm nehmen, eine Wärmflasche reichen und Milch mit Honig ans Bett bringen.

Ganz anders verhält es sich für junge Erwachsene in der Fremdunterbringung, wo die Betreuung meist mit dem 18. Lebensjahr endet und es kein Zurück in die Wohngemeinschaft gibt. Care Leaver dagegen, oft traumatisiert und vorbelastet, bewältigen fortan ihren Alltag ohne jegliche familiäre oder finanzielle Unterstützung. Als Folge davon werden diese jungen Menschen häufig obdachlos.  Es werden Beziehungen und Abhängigkeiten eingegangen, nur um einen Schlafplatz zu bekommen oder jedes noch so schlechte Jobangebot angenommen, um nicht auf der Straße zu landen.

Vergleichsweise fehlen dieser vulnerablen Gruppe somit wertvolle Jahre in der Begleitung ihrer Entwicklung sowie im Übergang ins Berufsleben, wo Orientierungshilfen dringend notwendig wären.

Bedauerlicherweise bieten die Kinder-und Jugendhilfegesetze nur einen rudimentären Rahmen für eine Verlängerungen der Maßnahmen über das 18. Lebensjahr hinaus. In Österreich gibt es bis dato keine standardisierten Formen der Unterstützung und zu wenig Bewusstsein für die Existenzschwierigkeiten dieser jungen Erwachsenen.

Care Day 2020: Benachteiligung von Care Leavern verringern

Care Leaver – selbst BotschafterInnen und gleichzeitig ExpertInnen ihrer Lebensbiografien – führten gemeinsam mit Prof. Dr. Henri Julius durch das Programm. Die Care Leaver selbst konnten durch diese Veranstaltung Aufmerksamkeit erzeugen, sowohl bei den Expertinnen, als auch unter den TeilnehmerInnen und den politischen EntscheidungsträgerInnen.

Gerade auf die Versäumnisse der letzten Jahre aufmerksam zu machen, war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die KJA Wien wird daher auch zukünftig darauf achten und diese Aufgabe besonders wahrnehmen, dass den Worten der politisch Verantwortlichen auch Taten folgen. Rein wirtschaftlich betrachtet ist der Return of Investment bei Care Leaver hoch. Internationale Studien zeigen, dass eine vielfache Summe eingespart werden kann, wenn Arbeitslosigkeit, Delogierungen, Obdachlosigkeit, Kriseninterventionen, Haft oder chronische psychische Erkrankungen wegfallen würden.

Welche Angebote brauchen Care Leaver?

  1. Die Hilfen für junge Erwachsene aus der Kinder- und Jugendhilfe sollen mindestens bis zum vollendeten 24. Lebensjahr (bis zum 24. Geburtstag) angeboten werden und dürfen keine ‚Bittstellung‘ von Seiten der jungen Erwachsenen erfordern. Sie haben einen Rechtsanspruch für jene Kinder und Jugendliche darzustellen, die schon vor dem 18. Lebensjahr Kinder- und Jugendhilfe erhielten.
  2. Die Formen der angebotenen Hilfen sollen den individuellen Gegebenheiten der Betroffenen angepasst und flexibel gestaltet sein: als rein ambulante, teilstationäre oder stationäre Unterstützungsformen unterschiedlichsten Inhalts, zwischen denen ein Wechsel möglich sein soll.
  3. Die Unterstützungsmaßnahmen nach der Volljährigkeit sind so zu gestalten, dass Brüche und Abbrüche der Maßnahmen vermieden werden. Insbesondere ist die Beziehungskontinuität möglichst zu gewährleisten, d.h. die Hilfen sollten-  wenn möglich – auch von jenen Personen angeboten werden können, die die jungen Erwachsenen schon vor ihrer Volljährigkeit betreut haben.
  4. Das Angebot der Übergangsbegleitung in die Selbstständigkeit ist nachgehend zu gestalten. Von Seiten der Kinder- und Jugendhilfe ist die Unterstützung junger Erwachsener proaktiv anzubieten, d.h. von Seiten der Kinder- und Jugendhilfe ist eine aktive Kontaktaufnahme anzustreben bzw. die Beendigung dieser zu begründen.
  5. Inanspruchnahme der Hilfen für junge Erwachsene darf nicht an Bedingungen geknüpft werden, die eine potentiell stigmatisierende Wirkung haben, wie z.B. sozialpsychiatrische oder sozialpädagogische Diagnosen.

Inklusion bedeutet, die Teilhabe des Menschen an der Gesellschaft und deren Angebote. Ein selbstbestimmtes, gelungenes Leben führen zu können begründet sich darin als ExpertInnen des eigenen Alltags wahrgenommen zu werden. Nur so kann ein gesellschaftliches Bewusstsein geschaffen, Missstände aufgezeigt und Verbesserungen umsetzt werden. Daher ist der Internationale Care Leaver Tag 2021 besonders wichtig: es ist der Tag, an dem dieser Gruppe von jungen Erwachsenen Gehör verschafft und vor allem Respekt gezollt werden muss.